Donnerstag, November 15, 2007

über Solidarität

So langsam ziehen die GdL Lokführer ihre Streikdaumenschrauben enger. Seit heute nacht bestreiken die alle Transportbereiche der Bahn -- und stellen damit die Solidarität der Bevölkerung auf eine harte Probe. Längst weggebrochen sind natürlich die Unterstützer aus Politik und großen Gewerkschaften, aber das war eh zu erwarten. SPD Funktionäre und gelbe Gewerkschaften, die mehr auf das profitable Anbiedern an die Großkonzerne aus sind, hat man ohnehin längst abgeschrieben.
Aber bisher hatte ich das Gefühl, dass die meisten Reisenden mit dem Streik der GdL solidarisch sind. Aus drei Gründen: Zum einen geht es gegen Mehdorn, dessen arrogante bornierte Art nun wirklich niemand mehr ertragen kann. Das der-Feind-meines-Feindes Prinzip. Und das Gehässigkeitsprinzip. Aber warum nicht, wir Pendler sind auch nur Menschen?
Im gleichen Zusammenhang ist die eigentlich breite Ablehnung des hirnrissigen Börsengangs der Bahn AG zu sehen. Der zweite Solidaritätsgrund. Eigentlich ahnen alle, dass der Notverkehr im Streik und das Chaos auf den Straßen dank verminderten Nahverkehrs nur ein Vorgeschmack auf das ist, was uns erwartet, wenn Mehdorn und seine Phalanx aus der SPD-CDU-Konzernchefs-Clique die Bahn "endlich mal so richtig profitabel" machen. Dass die GdLer diesem Privatisierungswahnsinn ein paar Stöcke zwischen die Beine werfen, wird allerorten begrüßt wie ich bemerkt hab.
Zum dritten hab ich das Gefühl, dass die Menschen schon kapieren, dass die GdL da einen unpopulären aber wichtigen Kampf führt, den die breitärschigen gelben Gewerkschaften von IG Metall bis VerDi nicht mehr führen -- den Kampf um die wirtschaftliche Beteiligung der Menschen am Aufschwung und den enormen Gewinnen der Firmen nämlich. Seit Jahren, und das geht noch auf Kohl zurück, predigen uns die Politiker wir mögen die Fressen halten und unsere Gürtel enger schnallen. Nullrunde reiht sich an Nullrunde. Während alle Preise munter steigen, zusätzliche Belastungen wie private Rentenvorsorge und Studiengebühren aufgebrummt werden. Ohne Ausgleich. Bald ist nicht mehr genug Geld da, um sich einen Gürtel zum enger schnallen überhaupt noch leisten zu können. Und das alles, während eine Minderheit[1] Unmengen an Geld scheffelt und die Multis (man möge mir den 80er Jahre Kampfbegriff nachsehen) ihre steuerfreien Konton bis zum platzen füllen! Das ist die Situation in der die GdL, vielleicht (oder ganz sicher sogar) aus anderen Gründen, aber dennoch faktisch mal gehörig auf die Kacke haut. Das kann nur gut sein. Wir sollten uns ein Beispiel daran nehmen, solidarisch sein, und überall in allen Bereichen wieder eine Gerechtigkeit fordern, die sozialen Frieden erst ermöglicht. Wenn man dann noch wagt einen Schritt weiter zu gehen als die GdL, zum Beispiel statt reiner Lohnerhöhung auch mal die Schaffung von mehr neuen Stellen (=mehr Kollegen = weniger Druck = bessere Arbeitsbedingungen) erstreikt... ja, vielleicht kriegt unsere Gesellschaft ja dann noch die Kurve, wer weiss?
Trotzdem wird die Solidarität auf eine harte Probe gestellt. Es ist eben für mich sehr ärgerlich, wenn ich nach einer Woche Sehnsucht nicht zu meiner Freundin fahren kann. Weil ich mir im Moment noch kein Auto leisten kann und auf die Bahn angewiesen bin. Das Problem, das dürfen wir nicht vergessen, ist aber nicht der Streik. Das Problem ist, das originäre Aufgaben staatlicher Grundversorgung[2] einfach niemals in privatwirtschaftliche Hände hätten fallen dürfen. Mit welchen Trick auch immer, der Coup ist fast gelungen, die Gesellschaft fast umgebaut, und zwar unbemerkt unter dem Arsch der Menschen weggeklaut. Ausser, wir wachen doch noch auf und lassen das nicht zu! Wenn man das nicht vergisst, und sich nicht von Spiegel und Springer-Presse einreden lässt wie scheisse die GdL doch sei, dann kann man vielleicht die Situation in einem etwas größeren Zusammenhang sehen und sich furchtbar über den Streik ärgern aber gleichzeitig mit dem Anliegen der GdL doch weiter solidarisch sein? Ich versuch das mal...


[1]: darüber muss ich mal irgendwann nachdenken... ist das Problem, dass die reiche Minderheit einfach dann doch zu groß ist, um ein Aufbegehren der ärmeren Mehrheit zu erzeugen? Oder sind es die jahrezehntelang eingeprügelten Versprechen von "du kannst es auch schaffen", die Verlockungen doch selber zur Minderheit zu gehören, die das Aufbegehren verhindern?
[2]: Energieversorgung, Gesundheitssystem und (Pharma)Forschung, Mobilität in jedem Lebensalter, Verteidigung und Sicherheit, Bildung... so viel isses ja gar nicht...

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