Freitag, Dezember 01, 2006

Die "große-Zeit"-Theorie

Jeder Mensch hat seine "große Zeit". In der er sich fühlt, wie er sich halt vorstellt, dass man sich fühlen soll. Jeden Morgen in den Spiegel grinst und mit Pep (oder mit Kater) da raus geht um zu tun oder zu lassen, was halt grad ansteht. An die "große Zeit" erinnert man sich gern. Man definiert sich über seine "große Zeit". Lange nachdem sie vorüber ist, erzählt man davon, oder bastelt eine Lebensphilosophie aus Erlebnissen oder Einstellungen dieser Zeit. Man leitet innere Handlungsanweisungen aus Erfahrungen von damals ab. Die "große Zeit" hilft einem zu sein, was man ist. Sie prägt einen, tiefer als alles andere vorher oder nachher. Und sie steht einem im Weg, ein erträglicher Mensch zu sein, oder glücklich zu werden. Weil man immer in der gottverdammten Vergangenheit herumstochert und glaubt, man sei noch der, der man war. Dabei hat man lichterloh gebrannt, hell gebrannt. Und bekanntlich bleibt von sowas nur Asche zurück. Statt dies einzusehen redet man sich ein, man habe noch den Pep, die Lockerheit, die Coolness der "großen Zeit", auch wenn diese schon längst, längst, längst Geschichte ist. Wird einfach ignoriert. Dabei ist das nichts als Selbstbetrug. Man hatte seine "große Zeit", sie geht vorbei, und der Rest des Leben tuckert nur noch vor sich hin, leise absterbend wie ein Motor wenn man den Benzinhahn langsam zudreht. Und dann der Tod.

Ein Kollege von mir erzählt oft davon, wie er damals durch Ostasien gereist ist, mit dem Rucksack, on a shoestring. Seine große Zeit.

Ein Mädchen, dass ich sehr gern habe, realisiert gerade eben, dass sie ihr Leben nach einer langen Zeit der "Beziehung" mit einem Mann neu ordnen muss. Sie sagt: die Liebe ihres Lebens. Ich sag: ihre große Zeit.

Manche erzählen viel von Parties aus der Schulzeit oder dem Studium. Das ist ganz bestimmt eine große Zeit, das dürfte klar sein.

Einige Leute die ich kenne, reden immer und immer wieder über ihren Dienst in der Bundeswehr. Stumpfsinn und Alkohol und im Wald rumrennen. Eine große Zeit.

Mein Chef ist im Geiste immer noch gern in den USA, wo er mal gelebt hat. Seine große Zeit.

Und ich? Ich denk immerzu an diese Zeit als ich Zivildienst gemacht hab, wo ich den ganzen Tag im Krankenhaus geschuftet hab. Irgendwie sinnvoll und irgendwie hirnlos, aber total jung. Jeden Woche in eine andere verliebt, enttäuscht, völlig egal. Wie das Leben an sich. Meine große Zeit halt.

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