Montag, September 04, 2006

180°

Hatte letztens ein erschreckendes Gespräch mit einem Bekannten von mir aus der Uni. Er ist aus dem Iran, und eigentlich recht "locker" und offen. Aber kürzlich hat er mich verblüfft...
Zeitsprung: etwa ein Jahr zuvor. Anfang August 2005. Schröder hatte gerade seinen Mistrauens-Coup durchgezogen, dem wir nun die große Koalition verdanken. Die Amerikaner haben eine Raumsonde in den unschuldigen kleinen Kometen namens Temple-1 geknallt. Lance Armstrong hatte sich gerade unsterblich gemacht und zum 7. Mal die Tour gewonnen - bis über beide Ohren voll mit Drogen, vielleicht, wie wir heute glauben müssen. Und im Iran gewann ein, mir zumindest bisher wenig bekannter, hardliner namens Ahmadinezhad die Wahl. Damals sagt mein iranischer Bekannter, um den es hier geht, wie unschön und bedrückend er den Ausgang der Wahl fände. Ahmadinezhad stünde für den rückwärtsgewandten, den eher anti-westlichen Teil. Die iranische Gesellschaft, recht gespalten in einen gebildete, pro-westliche, pro-demokratische und, so wie es klang freiheitlich-orientierte "Minderheit". Und eine Masse von eher ungebildeten, der Propaganda der religiösen Hardliner eher zugänglichen Leuten. Mein Bekannter zeichnete ein düsteres Bild von der Zukunft mit dem neuen Präsidenten.
Naja, dann sollte es ja auch so kommen. Ahmadinezhad fiel durch untragbare Äusserungen in der Weltöffentlichkeit auf, benahm sich wie die Axt im Walde. Drohte Israel von der Landkarte zu tilgen. Begab sich in einen zähen Streit um die Anreicherung von atomwaffenfähigen Uran. Wurde zum Lieblingshelden der deutschen Neonazi-Szene, weil er den Holocaust leugnete. Und so weiter. Ein, man möge mir meine Meinung verzeihen, echtes Arschloch.
Naja, ich dachte halt, dass auch mein iranischer Kollege so denkt. Aber letzte Woche hab ich mit ihm geredet. Und da klangen plötzlich ganz andere Töne an. Er hätte Ahmadinezhad nun verstanden, all die Drohungen und Pöbeleien seien nur kluge Medientricks (und natürlich, das wüsste doch jeder, nicht ernst gemeint). Der Iran habe das Recht auf seine Atomtechnik (die natürlich nur friedlichen Zwecken dienen solle). Amerika und England versuchen die Welt zu beherrschen und man könne ihnen nicht trauen - schliesslich haben sie in der Region so eine Unordnung angerichtet und zum großen Teil selber den Terror und Al-Qaida und so herangezüchtet, indem sie Saddam Hussein oder die afghanischen Kämpfer gegen die Russen unterstützten... ein ziemlicher Schwall an Verschwörungstheorie und Antiamerikanismus, den ich da zu hören bekam. Geschickt platzierte Halbwahrheiten. Noch besser kam es dann, als mein iranischer Bekannter kolportierte, dass die Iraner ja so einen Nationalstolz hätte und ihr Land alle verteidigen würden, sollten die Amerikaner auf die Idee kommen da einzumarschieren. Ah, ja. Soso. Was das alles mit Ahmadinezhad zu tun habe, fragte ich. Antwort kam prompt. Er würde sich als einziger gegen die Amerikaner, die nur die Welt beherrschen wollten, stämmen. Sei ein Vorbild für die ganze iranische Welt. Und alle Iraner würden ihn nun, wegen seiner Position in den Konflikten um die Atomtechnik, unterstützen, auch die Wissenschaftler und der "ehemals" pro-westliche Teil. Naja, es gibt zu diesem Thema auch andere Meinungen, mir scheint es nicht so ganz zu stimmen, dass nun 100% der Iraner hinter ihrem Präsidenten stehen. Das muss der Medientrick sein, von dem die Rede war. Hat zumindest bei manchen funktioniert, wie mir scheint. Aber ob es nicht auch im Iran verständlich sei, dass die Kombination aus "Israel auslöschen" und "wir wollen hochangereichertes Uran" in der Welt, naja, ein wenig auf Vorsicht stösst, wollte ich wissen. Aber kein Stück, das mit Israel sei ja alles nicht so ernst gemeint und war ja auch nur ein Medientrick, der die westliche Welt (und da ungefähr setzte spätestens bei mir das Verständnis aus) quasi entblößen sollte. Die Reaktion auf die, vermeindlich, nur im Spaß gemeinten Todesdrohungen, würde ja zeigen wie die westlichen Welt einzuschätzen seie. Im Iran gebe es so was wie Philosophie, im Gegensatz zu den bösen Amerikanern würden die nie nie nie ihre Atombombe einsetzen. Krude Ideen. Inkohärente Argumentation, die nach Propaganda klang. Gefährlich.
Mit Grausen versuchte ich so schnell und elegant es ging aus dem Gespräch herauszukommen. Ich äusserte Bedenken, dass der iranischer Präsident einen besonders klugen Schachzug mit dem harten Konfrontationskurs vollbracht hat und mir wurde mehr und mehr unklar, wie die Welt in Richtung "besser" manövriert werden soll.
Also, ich mag jede Art von Religion nicht. Und bin zugleich weit davon entfernt jemanden für festen Glauben schlimmeres anzutun als ihn herzhaft auszulachen. Aber diese Mischung aus beinharter Religion und rechter Politik, die momentan in Mode ist in der arabischen Welt... ich weiss nicht, wie das kurz-, mittel- oder langfristig zum "Weltfrieden" (hört hört) führen kann. Man hat eher das Gefühl es wird Tag für Tag schlimmer, und Bomben und Terror und Selbstmordattentate tragen auch nicht zur Entspannung bei. Ich weiss, es heisst es seien angeblich nur ein paar wenige Idioten die Terroranschläge verüben... aber das Bild, es geht um das Bild das diese Knallköppe prägen... und die ausbleibende (zu leise? unterdrückte?) Kritik an diesen Gewalttaten. Die Gräben werden eher noch vertieft. Verschwörungstheorien und ein monolithisches Weltbild auf der einen Seite ("die bösen Amerikaner wollen alle beherrschen"... wenn nicht gerade gegen die Israelis gewettert wird... grässlich...) und Terrorangst (die kräftig geschürt wird von Regierungen und "militärisch-industriellen Komplex", man möge mir den Begriff verzeihen) auf der anderen. Blinder Eifer, Nationaler Wahn und Angst, Angst auf beiden Seiten - das klingt wie ein Rezept für den Weltuntergang. Pest und Cholera. Benzin und Nitratdünger. Und ich sitz hier in meinem kleinen Büro während draussen die Welt in den Abgrund steuert. Nur die Wolken, die ziehen friedlich wie immer über den Himmel...

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