Mittwoch, September 06, 2006

Die letzte Tage des Sommers

Gestern saß ich am frühen Nachmittag an einem Bahnhof irgendwo in der Wildnis vor Jülich herum. Eigentlich war es mehr ein Schienenbushaltepunkt. In der Sonne. Und der nächste Zug erst in 50 Minuten laut Fahrplan. Hinter dem Wald irgendwo das Forschungszentrum, wo ich bei einer kooperierenden Arbeitsgruppe zu Besuch war. Der Kontrast war ganz ansprechend - erst die hochmoderne Wissenschaftseinrichtung, dann der verschlafene Haltepunkt in einer Landschaft, in der Zuckerrüben als Attraktion Nummer 1 gelten. Die Schiene verlief schnurgerade von rechts am Horizont nach links am Horizont, ein leichter Wind spielte mit dem Gras, es duftete nach Wiese und Feldern. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn ein paar Cowboys oder besser noch wild herumballernde Mexikaner vorbeigeritten wären. Oder der Zug von einer schnaufenden Dampflok gezogen worde wäre, voll mit Trappern und Goldsuchern und Verrückten. Wyoming. Auf nach Kalifornien, da ist alles besser.
Gerade haben wir noch mal im Park gegrillt. Ich bin leider zu spät für den Sonnenuntergang gekommen, ein drohendes Programmierprojekt (dazu aber ein anderes mal mehr) fast wie ein aufziehendes Gewitter am Horizont hat mich leider im Institut aufgehalten. Aber dann noch ein paar Würstchen auf den Grill gelegt, Salat und Putenschnitzel - fast so als sei es Juli und nicht Anfang September. Herrlich. Nun ist es dunkel und kühl, ich hab ein Tränchen des Abschieds im Auge. Das wars vermutlich, Sommer, ab nun geht das Bibbern, das Sich-Einpacken und das Hinter-Mützen-Verstecken wieder los. Vorbei ist es mit dem Eis, den attraktiv gekleideten Frauen, dem Bier im Biergarten und dem Duft von Sonnenöl. Schade eigentlich, ich hätt grad noch mehr davon vertragen können. Ging dann am Ende leider rasch vorbei, die "Tiefdruckautobahn", welche durch das zu weit südlich liegende Azorenhoch über uns geleitet wurde, hat kurzen Prozess mit den 30°C+ Tagen gemacht. Immerhin ist alles wieder grün, die Ernteausfälle sind nicht so hoch wie befürchtet und verdursten müssen wir auch nicht. Alles hat seine guten Seiten, auch wenn sie hin und wieder schwer zu sehen sind, mit der Lupe gesucht werden wollen.
War ein spaßiger Sommer. Ok, ich hab viel gearbeitet und zu wenig Urlaub gemacht, fast kein Fußball gespielt - dafür jede Menge davon im Fernsehen gesehen. Bei uns im Institut war das große Beziehungen-Murksen angesagt - genug Stoff für Klatsch und Tratsch und Gelegenheiten zum Biersaufen gab es also auch. Tja, irgendwie mag ich es noch nicht so recht glauben - schon wieder ein Jahr zu 3/4 rum. Erschreckend. In 9 Monaten ist mein Vertrag ausgelaufen hier, dann "sollte" ich fertig mit meiner Doktorarbeit sein. Und, um mal Sarah Connor zu zitiern: "The unknown future rolls toward us. I face it, for the first time, with a sense of hope.". Irgendwie macht mir, anders als früher, das ganze Ding mit der Zukunft und man weiss nicht was kommt und so keine Angst mehr. Hab sogar mal ein Gedicht über den Tag geschrieben, an dem mir das aufgefallen ist. Mal hören?

Restart

Ich wusste erst nicht
was anders war
beim saufen und reden
beim Zigaretten rauchen
die ganze Nacht.

Ich wusste erst nicht
was anders war
aber irgendetwas hatte sich
verändert nach diesem Abend
mit dem Feuerzauber an den Rheinbrücken
dem Sekt und den Umarmungen
den komischen Frikadellen
und den vielen kalten Bieren
frisch nassgeregnet vom Balkon.

Ich hab ihr endlich alles gesagt
all diese Gefühle vor ihr ausgebreitet
und das war das beste was uns passieren konnte
bei ein paar Becks
denn endlich war alles geklärt
und dann sind wir schlafen gegangen
weil es 8 Uhr am Morgen war
da hat sie meine Hand gestreichelt
und gelächelt.

Ich wusste erst nicht
was anders war
denn einen mörderischen Kater hatte ich
genau wie an jedem 1. Januar zuvor
ich lag bis mittags halbtot
in meinem Schlafsack
futterte Toast
und trank eiskalte morgentliche Biere
mit Henning
wie immer
obwohl sich etwas verändert hatte.

Den Nachmittag mit Videos vertrödelt
und abends dann
wenn auch in kleinerer Besetzung
zur nächsten Party
wo ich sehr müde war
und trotzdem irgendwie aufgedreht
wie ich da eingeklemmt in der Kneipe saß
mit Leuten aus einer anderen Zeit
aber das war es nicht
was mir so eigenartig vorkam.

Wieder ein nächster Morgen
ich erwache ziemlich ausgeschlafen
auf dem Fussboden im Wohnzimmer meines Kumpels
die Sonne scheint verlegen durchs Fenster
die Nachbarn poltern herum
irgendetwas ist anders
ganz anders
aber ich kann nicht mit dem Finger draufzeigen
ich kann es nicht sagen.

Schnell einen Kaffee getrunken
und mich verabschiedet
zum Bahnhof gegangen zusammen mit
dem Typ aus Berlin
der in einer Tour von seiner Kindheit erzählte
weil er Wuppertal natürlich kennt
ich hab mich wohl gefühlt
wie wir da hinunter ins verschlafene Tal gingen
und das fand ich schon irgendwie verdächtig.

Zwei Stunden später
bin wieder in der Stadt die keine ist
Schneeregen setzt ein
es ist der zweite Januar und plötzlich wird mir klar
ich hab zwei Tage gebraucht um zu kapieren
dass ich überhaupt keine Angst mehr habe
mir ist alles egal
irgendwas wird schon geschehen
und ich werde dann schon sehen
was aus mir wird.

Tja, "We got Skynet by the balls now, don't we?"

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