Sonntag, September 24, 2006

Weltrekord

Gestern abend war ich in Wuppertal, um an einem Handballspiel meiner alten Mannschaft teilzunehmen. Es war ein Auswärtsspiel, 18:00 Anpfiff, irgendwo in den Karpaten nördlich von Wutal. Natürlich - die Zeit ist doof, genau wenn die Sportschau anfängt. Aber ich dachte mir, ein Spiel dauert 60 Minuten, 5 Minuten Pause... mit etwas Glück bekomme ich den Zug um 19:58 am Wuppertaler Hbf und bin dann um 22 Uhr zuhause und kann das aktuelle Sportstudio anschauen. Ha, das war naiv von mir. Es kam sowas von anders...
Erst fing das Spiel natürlich später an, so dass ich den Zug um 21 Uhr anpeilen musste [+1h]. Dummerweise hatte der nette Mensch, der mich im Auto mit nach Wuppertal zurückgenommen hat ins Gespräch mit dem Beifahrer vertieft die falsche Autobahn genommen und mich nicht in Wuppertal Elberfeld (da ist der Bhf) sondern in diesem südlichen Vorort rausgelassen, aus dem unser Verein kommt. Und seine Frau rief ständig meckernd und motzend aufm Handy an, weil Schwiegereltern und so zu Besuch. Also von da aus mit dem Bus zum Bahnhof gefahren -- der natürlich um Punkt 21:00 dort ankam. Ich konnte das hämische Rattern des Zuges gerade noch hören, wie er ohne mich abfuhr. Also kaufte ich mir ein Bier und lungerte ne Stunde am Bahnsteig herum [+2h]. Als es dann auf 21:58 Uhr zuging, fing die Anzeigetafel an verrückt zu spielen. Erst "ca. 5 Minuten später", dann "ca. 20 Minuten später"... dann kam die Durchsage, dass wegen einen Notarzteinsatzes (also vermutlich Selbstmord) der Zugverkehr komplett und auf unbestimmte Zeit eingestellt wird. Anzeigetafel: "über 60 Minuten später". Argh! Mit einer glücklicherweise gerade im Bahnhof stehenden (sozusagen wendenden) S-Bahn bin ich nach Düsseldort gefahren, weil ich dachte, dort setzen sie bestimmt einen Ersatzzug ein. Angekommen bin ich dort um 23:05. Um 23:22 sollte der Regionalexpress nach Aachen abfahren. Klar, Düsseldorf, großer Bahnhof, quasi ein Verteilerzentrum für Linien. Aber nein - "120 Minuten später", sagte die Anzeigetafel. ARGH ARGH. Am Infostand war die Hölle los. Eine nette Bahnmitarbeiterin erklärte, dass es für Ersatzzüge kein Personal gäbe. Rationalisiert. Eingespart. Ha, da sieht man was passiert wenn man Verkehrsunternehmen privatisiert. Bockmist passiert. Weil der sogenannte "freie Wettbewerb" nämlich nix und garnix regeln kann, sondern nur Ausbeutung und Qual erzeugt. Aber das ist ein anderes Thema.
Die nette Frau hat mir dann ein Papier ausgestellt, dass besagt hat, dass der Zug den ich nehmen will 120min später fuhr oder ausgefallen ist. Das waren meine papales, papieres, mein Passierschein für den russischen Sektor. Der Plan war, mit dem RE1 über Köln nach Aachen zu fahren. ETA 1:09 [+3h]. Der Zug hatte aber auch 20min Verspätung [+3:20h] und war zudem noch voll mit pöbelnden Vollidioten, die Nazisprüche am laufenden Band losliessen und sich gegenseitig und anderen Fahrgästen ständig Prügel androhten oder laut rülpsten. Herrlich. Und ein Schaffner, dem ich mein Visum, mein carte blanche hätte zeigen können, ist auch nicht aufgetaucht. Vermutlich auch wegrationalisiert.
Hab das aktuelle Sportstudio verpasst, und die Wiederholung auf 3sat konnte ich nicht sehen, weil bei dem Sender unser Sat-Empfang irgendwie streikt. ARGH ARGH ARGH. Sowas ist mir echt noch nie passiert. Und das alles für 60 Minuten Handball. Eine Reisezeit von gut 5 1/2 Stunden für knapp 100km, da hätt ich ja mit dem Fahrrad fahren können.
Und mein Tip ist - wenn die Bahn an die Börse geht, wird es noch schlimmer. Da stören die Fahrgäste nur noch die Renditen und Aktionäre, am besten lässt man die ganz am Bahnsteig stehen. Sind eh lästig, diese Kunden. Bzw ist ja schon "Kunden" der falsche Begriff - eigentlich sind wir ja Bürger, die das Ding bezahlen mit unserer Steuern, und wir üben das Grundrecht der Mobilität aus. Kunden, impliziert so ein lockeres Geschäftsverhältnis - wir kaufen das Bahnfahren, wenn die Ware mal aus ist, dann ist das unser Problem. Eigentlich passt das alles ins Bild, diese arrogante Hochnäsigkeit mit der die Bahn mit solchen 3,5h Verspätungen umgeht wie gestern. Na klar, da sind Leute unterwegs die sich fette Autos oder Flugtickets nicht leisten können, denen zeigen wir mal ihren Platz in der Gesellschaft, die lassen wir mal blöde am Bahnsteig versauern ohne eine Durchsage zu machen (in Düsseldorf gab es nämlich nur die schweigende Anzeigetafel). Ihr Proleten, wartet gefälligst und haltet die Schnauze.
Wie können wir nur so dumm sein und zulassen, dass elementare Dinge wie öffentlicher Verkehr, Versorgung mit Grundgütern (Strom, Gas, Wasser), das medizinische System und die Pharmafoschung und Herstellung in private Hände gerät? Das sind Dinge für die Menschen, ein flüchtiger Gedanke sagt einem, dass Börsen und Aufsichtsräte damit nur Scheiss anstellen.

Keine Kommentare: