Donnerstag, Oktober 05, 2006

say it... just say it

Ah, ein herrlicher Tag um sich aufzuregen. Weil - aufregen heisst sich lebendig fühlen. Und lebendig fühl ich mich, weil ich mal wieder die Fahrt zur Arbeit überlebt habt, den Slalom zwischen den 3,5 Tonnen gepanzerten SUVs hindurch, die von pelzjackenbewehrten Reichen Muttis durch die Stadt kutschiert werden wie die Radpanzer der ISAF durch Kabul (und nun bald ganz Afghanistan). Aber es soll nicht ums Autofahrer-bashing gehen, das kann ich ja jeden Tag.
Viel mehr hab ich mich über den Spiegel (Printausgabe 40/2006) diese Woche wunderbar echauffiert. Da titeln die "Rettet dem Deutsch! Die Verlotterung der Sprache: Englische Importwörter und flotte Gedankenlosigkeit drohen den Reichtum der deutschen Sprache zu zerstören", wahrscheinlich ein Schmierenartikel aus der Feder des Schreiberlings, der auch den Zwiebelfisch verzapft. Diese Dusche in sprachlichem Nationalismus, dieses altkluge Klassenkonsolidat, dieser entstirnige Duden-Exeget. Ok, ich muss zugeben, ich hab TFA nicht gelesen, aber brauch ich auch nicht. Ich kann mir denken was drinsteht. Ooooh, die bösen Anglizismen, oooooh unsere Leitkultur, haben wir nicht mit unserer heiligen Sprache halb Europa erobert, nun sagen die Kinder neue Worte! Einfach so! Und legen vermutlich unsere Grammatik neu und einfacher aus, die von unseren Vorvätern doch extra kompliziert gemacht wurde, damit man den Prolet auch als Prolet erkennt. Im Bergwerk oder so braucht der ja auch nicht sprechen, der soll den Mund halten und Kriegsgerät oder SUVs produzieren. Oder am besten wortlos und ohne Kosten zu erzeugen verrecken. So oder so ähnlich muss der Spiegelartikel gewesen sein. In die gleich Kerbe schlägt die Onlineausgabe, mit einem Artikel über Englisch in der Wissenschaft. Herrlich, was hab ich gelacht. Ein paar Bonmots: "Das Deutsche drohe den Anschluss an die wissenschaftliche Erkenntnis zu verlieren, wenn die Terminologie nicht mehr weiterentwickelt werde." oder wenig später "(...)seufzt Gerhardt Leitner, Professor an der FU Berlin. Man müsse selbst tätig werden: "Ich bin Anglist. Ich habe sehr viel auf Englisch geschrieben, schreibe aber zunehmend jetzt wieder Deutsch.""
Wierderlich. Damit das Deutsche nicht den Anschluss an die Erkenntnis verliert. Oh, wo das deutsche ja die Kultursprache schlechthin ist, schliesslich haben wir so großartige Erkenntnisse produziert wie die Niebelungensage (endlich Treue bis in den Tod) und das ganze Goethe-Schiller-Heine Gedröhne. Alles unabdingbare Komponenten für die wissenschaftliche Erkennntnis.
Schaut man sich mal ein wenig im Netz um, dann findet man schnell raus wes Geist dort wirkt: "Verein deutsche Sprache e.V." ist eine gute Adresse für die verbal-Patrioten dieses Landes. Die Liste der prominenten Förderer liest sich wie ein Brechmittel sondergleichen. Da sind so geistige Massagestäbe wie Dieter Hallervorden, Reinhard Mey oder Nina Ruge dabei, allesamt ausgewiesene "deutsche", quasi katholischer als der Papst, wenn man mir das Bild gestattet. Aber delikat wird es wenn man Erika Steinbach entdeckt. Wenn es nach der ginge, würde vermutlich bald wieder bis in Moskaus Vororte deutsch gesprochen, aber bitte geschliffene Grammatik und ohne diese bösen, bösen Anglizismen. Na, und da ist ja auch der Zwiebelfischfreak in der Liste, als prominent hätt ich den nun nicht gerade bezeichnet.
Und was heisst das alles? Eigentlich ist diese ganze sprachliche Deutschtümelei nur ein angewidertes Schulterzucken wert. Ist bloss eine andere Ausdrucksweise für Nationalismus von rechten Rand des CDU Spektrums. Ausserdem schmeckt es ein wenig nach "Angst-vor-allem-was-neu-ist", aber das ist ja auch typisch konservativ.
Ich hab nix gegen Englisch als Weltsprachen-Ersatz. Schon gar nicht in der Wissenschaft. Warum nicht eine Gemeinsprache für die ganze Welt haben? Da kommt dann immer das Argument, hach, die schöne Kultur geht verloren und alles wird so viel ärmer, weil die schönen Sprachen... aber ich glaub ja mal, die Welt würde um einiges gewinnen anstatt zu verlieren, wenn sich alle Menschen miteinander unterhalten könnten. Alles das Internet lesen könnten. Aber da Sprachen ja schon immer ein Herrschaftsinstrument waren, würden "die da oben" natürlich eine Waffe aus der Hand geben - das machen die nie. Zumindest nicht ohne Zwang. Am schönsten wär natürlich, aber das nun meine Spezialmeinung und beruht auf "gewissen" politischen Träumen, eine neue, künstliche Sprache. So eine Art Esperanto? Eine Sprache, die alle Menschen gleich gut (oder schlecht?) beherrschen. Das wär doch gerecht. Und wenn die Entwicklung auch Konzepte aus "dritte Welt-Sprachen" einschliessen würde, dann könnte man so auch gefühlsmässig den Globus mehr zusammenrücken lassen.
Jedenfalls ist es albern so zu tun, als ob Sprache etwas monolithisches, etwas unveränderliches wäre. Sprachen entwickeln sich, evolvieren, sterben aus. Und werden konstruiert. Es gibt ein paar schöne Beispiele aus dem Netz (Esperanto, Loglan, Lojban, und viele andere). Könnte von mir aus gleich die Weltvolksversammlung als Amtsprache übernehmen. Naja, ähem. Wie auch immer.
Ich finde zumindest nichts schlimmes daran, wenn Deutsch sich selbst (also, durch die Sprecher im Alltag) vereinfacht, verändert, mit anderen Sprachen vermischt. Das ist nur normal und ein Ausdruck der heutigen kulturellen Situation.
Hm. Am Ende weniger aufgeregt als ich mir gewünscht hatte... :-)

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